Psychosomatische Störungen
Was versteht man unter psychosomatischen Störungen? Wenn psychische Belastungen oder psychische Faktoren zu körperlichen Erkrankungen und Beschwerden führen, nennt man diese ‘psychosomatische Störungen‘. Eine zentrale Rolle spielt dabei das autonome Nervensystem. Das autonome Nervensystem regelt viele Körperfunktionen und passt diese an die jeweilige Situation an. Dabei pendelt es zwischen Aktivierung und Regeneration hin und her. Das autonome Nervensystem ist auch ein zentraler Bestandteil der wichtigen Stressreaktion, mit der unser Körper auf herausfordernde Situationen vorbereitet wird.
Auf dieser Seite erfahren Sie,
- was bei einer Stressreaktion und einer Überlastung in unserem Körper passiert,
- welche Gedächtnis-Störungen daraus folgen,
- wie eine ‘dissoziative Kapsel’ zu psychosomatischen Störungen führt,
- welches die häufigsten Symptome sind und
- wo eine erfolgreiche Therapie ansetzen muss.
Stressreaktion und Überlastung: was passiert in unserem Körper
Die Stress-Reaktion ist ein wertvoller Bestandteil unseres Lebens. Sie ermöglicht es uns, herausfordernde Situationen zu bewältigen. Sie steigert die Aufmerksamkeit und die Aktivierung des Körpers, so dass unsere Leistungsfähigkeit zunimmt. Normalerweise schließt sich daran wieder eine Phase der Entspannung an und wir können regenerieren.
Wenn es jedoch zu einer Überlastung kommt, passiert etwas anderes. Das Verhältnis der Stresshormone Noradrenalin und Cortisol verschiebt sich massiv in Richtung Cortisol. Und das hat weitreichende Konsequenzen: ‚Normale‘ Cortisol-Level führen dazu, dass die Stressreaktion nach der Belastung wieder zurück geht und eine Erholungsphase beginnt. Sehr hohe Cortisol-Level hingegen führen zu Schädigungen der Hirnstrukturen, welche die Stressreaktion wieder dämpfen könnten (Hippocampus, medialer präfrontaler Cortex).
Dadurch wird das bewusste Erinnerungsvermögen massiv beeinträchtigt. Und unser Körper wird in einen ‚Daueralarmzustand‘ versetzt, was negative Konsequenzen für das Herz-Kreislaufsystem, die Immunabwehr, das Schlafverhalten, die Sexualität und andere Körperfunktionen hat. Wenn die Belastung nicht mehr zu bewältigen ist, wird das Alarmsystem (Amygdala) wegen der Überforderung und der Gefahr, die diese für unsere Gesundheit darstellt, komplett abgeriegelt. Es kommt zur sogenannten Dissoziation: die belastende Erfahrung, das gegenwärtige Erleben, das Körperempfinden insgesamt oder Teile des Körperempfindens und/oder das emotionale Erleben werden ausgeblendet. Das sind Symptome, wie sie beispielsweise für Burnout typisch sind.
Psychosomatische Störungen: Resultat von Überlastung und Gedächtnis-Fehlfunktionen
Die Folgewirkungen von Überlastungssituationen haben viel mit der Funktionsweise unseres Gedächtnisses zu tun und mit den unterschiedlichen Formen von Gedächtnis. Dabei sind folgende Gedächtnisarten zu unterscheiden:
Das deklarative bzw. explizite Gedächtnis, dessen Inhalt uns bewusst ist, unterteilt sich in
- episodisches Gedächtnis: speichert unsere persönlichen Erinnerungen an wichtige Ereignisse unseres Lebens. Dabei spielt der Hippocampus eine wichtige Rolle, der sozusagen ein Inhaltsverzeichnis unserer Erinnerungen anlegt;
- semantisches Gedächtnis: speichert das Wissen, welches wir im Lauf unseres Lebens erwerben. Dabei werden neue Informationen nicht einfach zusätzlich zu den vorhandenen Informationen gespeichert, sondern die neuen Informationen werden mit den vorhandenen Informationen verknüpft.
Das nicht-deklarative bzw. implizite Gedächtnis, dessen Inhalt uns nicht ohne weiteres bewusst zugänglich ist, unterteilt sich in
- prozedurales Gedächtnis: speichert (motorische) Fertigkeiten, wie z. B. Schnürsenkel binden;
- perzeptuelles Gedächtnis: speichert die uns bekannten Formen, Gesichter u. ä.;
- Assoziations-Gedächtnis: speichert Reiz-Reaktionsmuster (Konditionierungen);
- Priming-Gedächtnis: bereitet das Bahnen von Wiedererkennen oder von Reaktionsmustern vor.
In einer gefährlichen Situation, z. B. wenn wir das Gefühl haben, keine Kontrolle mehr zu haben, ist die Speicherfähigkeit unseres bewussten episodischen Gedächtnisses oft stark beeinträchtigt.
Unser prozedurales Gedächtnis verankert eine derart gefährliche Situation hingegen sofort. In einem Moment der (subjektiv empfundenen) Gefahr hat das prozedurale und Assoziations-Gedächtnis sogar eine besonders starke Speicherfähigkeit. Schließlich kann es überlebenswichtig sein, eine solche Gefahr zukünftig frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Das Gehirn speichert jedoch nicht nur den Gefahr-Auslöser, wie z. B. das Geräusch quietschender Bremsen hinter uns. Sondern alle Sinnes- und Körpereindrücke, die in diesem Moment auf uns eingeströmt sind, werden als Gefahr- und Gefahr-Reaktions-Muster abgespeichert – unabhängig davon, ob sie ursächlich mit der Gefahr in Zusammenhang stehen. Das können ein bestimmter Geruch, das Gesicht eines erschrockenen Passanten, das Spannungsmuster unserer Muskeln, das überwältigende Angstgefühl und viele andere Wahrnehmungen sein.
Dissoziative Kapsel und psychosomatische Störungen
Robert Scaers, ein bekannter amerikanischer Neurologe und Traumaforscher, verwendet für diese zusammenhängenden Erinnerungen das Wort ‚dissoziative Kapsel‘. Denn sie sind unserem bewussten episodischen Gedächtnis nicht oder nur in Bruchstücken zugänglich, sind also wie abgekapselt. Allerdings kann jederzeit ein Reiz aus der Umgebung eine Detailerinnerung davon zufällig antriggern. Wenn das passiert, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Gehirn auch den weiteren Inhalt der dissoziativen Kapsel wieder reaktiviert: Sehen wir also beispielsweise ein erschrockenes Gesicht, das dem Gesicht des Passanten ähnelt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das damalige, überwältigende Angstgefühl wieder in uns aufsteigt.
Wie fühlt sich das an? In unserem Gehirn werden Erinnerungen reaktiviert, von denen wir jedoch nicht wissen, dass es sich um Erinnerungen handelt. Denn sie sind im bewussten episodischen Gedächtnis nicht gespeichert. Unser Gehirn interpretiert diese plötzlich auftauchenden, unbewussten Erinnerungen also als gegenwärtiges Erleben. Und das ist meist sehr irritierend und beängstigend. Denn unsere Augen sehen eine normale, harmlose Situation, während wir gleichzeitig massive Angstgefühle und / oder die damit einhergehende körperliche Stressreaktion erleben.
Daraus entwickeln sich dann häufig Symptome, die im ICD 10 zusammenfassend als ‘Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen’ bezeichnet werden. Dazu gehören unter anderem
- phobische und andere Angststörungen,
- Zwangsstörungen
- Anpassungs- und Belastungsstörungen, PTBS und eben auch
- psychosomatische Störungen (im ICD 10 als somatoforme Störungen bezeichnet).
Psychosomatische Störungen: Symptome
Ganz allgemein ausgedrückt, ist bei psychosomatischen Störungen die Wahrnehmung und / oder die Funktion von Organen und anderen Körperstrukturen gestört, ohne dass es dafür eine organische Erklärung, also einen medizinischen Befund gibt.
Besonders häufig sind dabei Beschwerden des
- Herz-Kreislauf-Systems, wie
- Herzrasen,
- Atemnot,
- Herzneurose (die Angst, an einer Herzerkrankung zu leiden),
- Magen-Darm-Trakts, wie beispielsweise häufig /anhaltend
- Verstopfung oder Durchfall,
- Übelkeit und / oder Erbrechen,
- Magenschmerzen oder Reizdarmsyndrom.
Aber psychosomatische Störungen können sich auch in eher allgemeinen Symptomen zeigen wie
- Erschöpfungszustände, anhaltende Müdigkeit,
- Schwindelgefühle,
- Ohrgeräusche (Tinnitus)
- Schmerzen, wie z. B.
- Migräne und andere Kopfschmerzen
- Rücken-, Nacken- und Schulterschmerzen
- Hypochondrie, also die Angst, an einer schweren Krankheit bzw. im Zeitverlauf wechselnden Erkrankungen zu leiden.
Eine typische Folge psychosomatischer Störungen ist das ‘doctor-shopping‘. Die Betroffenen wandern von Arzt zu Arzt, immer in der Hoffnung, dass endlich jemand die (körperliche) Ursache für ihr Leiden findet. Und nicht selten machen sie dabei die Erfahrung, dass man sie bzw. ihr Leiden nicht ernst nimmt.
Therapie psychosomatischer Störungen
Das Leiden bei psychosomatischen Störungen ist nicht eingebildet, es hat nur eine andere Ursache. Eine organische Herzerkrankung kann Herzschmerzen verursachen. Aber eine dauerhaft erhöhte Sympathikus-Aktivität kann zu ganz ähnlichen Schmerzen führen, da der Sympathikus die Herzaktivität (mit-)steuert.
Und wie immer gilt auch hier der Grundsatz, dass eine Behandlung an der Ursache ansetzen muss, um erfolgreich zu sein. Das bedeutet, eine erfolgreiche Therapie setzt voraus, dass sich das autonome Nervensystem wieder neu ‘kallibrieren’ kann.
Wenn Sie gerne ein unverbindliches telefonisches Vorab-Gespräch führen möchten, wie eine erfolgreiche Therapie in Ihrem Fall gestaltet werden könnte, können Sie mir gerne eine Mail zur Terminabstimmung senden.